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ns ist wohl allen klar, dass die Welt in vielen Dingen nicht so ist, wie wir sie gerne hätten – also: verändert werden sollte. Auf der anderen Seite kennen wir alle auch Leute, die ständig die Welt verändern wollen. Und was wir natürlich auch alle kennen: Solche Leute können nerven.

Vegetarier, Veganer, Antialkoholiker, Nichtraucher, Nichtkiffer, Drogenlegalisierer – also Kiffer, Umweltaktivisten, Klimaleugner, Klimaschützer, Tierschützer, Kinderschützer, Jugendschützer, Verbraucherschützer, Gesundheitsapostel, Mülltrenner, Impfgegner, Impfbefürworter, Autogegner, Tempolimitfetischisten, Feministen, Gendersprech-Pedanten, Achtsamkeitsfanatiker – alle selbstverständlich inklusive der jeweils dazugehörigen Fanatiker*innen und Fanatiker*außen – …und, last but not least: die akademischen Linken, die alte Robin-Hood-Fraktion, deren notorische Enteignungs- und Umverteilungsphantasien schon vor gut hundert Jahren durch Karl Marx eine Art wissenschaftliche Weihe erhalten hatten…

Alle diese Menschen nerven uns in genau dem Maße, wie sie ihre Eigenheiten nicht einfach friedlich bei sich zu Hause praktizieren und ihre Meinung nicht für sich behalten können, sondern sie mit dem Anspruch, „die Welt verändern zu wollen“, ständig wie eine Monstranz vor sich hertragen. Die Welt verändern!

Drunter macht’s ja heute eh kaum noch jemand.

Die Moralkeule oder – das beredte Schweigen

Nun sind wir aber auch alle so modern, so aufgeklärt und so tolerant! Was ist es dann genau, was uns an diesen „Weltverbesserern“ so nervt? Es ist nicht etwa das Statement über die eigene Position („ich bin Vegetarier…“ oder so), sondern es ist das immer mitgelieferte, so genannte beredte Schweigen. „Ich bin Vegetarier… …!“

Beredtes Schweigen – ein juristischer Fachausdruck dafür, das jemand etwas ganz deutlich nicht sagt, und damit umso deutlicher sagt, was er nicht sagt.

Im Fall der Vegetarier und Veganer ist das parallel zum Statement über ein an sich harmloses Diätkonzept der stumm ausgestrahlte Vorwurf an alle Anderen, sie würden aus rücksichtsloser Genusssucht „Tiere ermorden“ und deren „Leichen essen“.

Dasselbe, wenn Nichtraucher finden, dass Raucher, auch wenn sie nur die eigene Kemenate* verqualmen, den Rest der Gesellschaft durch ihre asozial überhöhten Gesundheitskosten beschädigen.

*Kemenate - Oxford Languages - UMGANGSSPRACHLICH SCHERZHAFT - intimer kleiner Raum, den jemand als seinen eigenen persönlichen Bereich hat "sich in seine Kemenate zurückziehen".

Jugendliche Umwelt- und Klimaschützer haben zwar oft noch nie eigenes Geld verdient, prangern aber Verantwortungslosigkeit der Alten gegenüber späteren Generationen an, der sich jeder schuldig macht, der nach vielen harten, entbehrungsreichen Jahren der Fahrradstrampelei und der Tortur in der Holzklasse öffentlicher Verkehrsmittel endlich ein dickes Auto mit klimatisierten Ledersitzen fahren kann. Die typischen Tempolimitbefürworter haben oft gar kein Auto oder nicht einmal einen Führerschein, wollen aber alle diejenigen, die auf der Autobahn draufdrücken, weil die Karre und die Straßenverhältnisse es nun mal hergeben, präventiv kriminalisierend als „Raser“ verorten.

Selbstermächtigte, gleichzeitig jedoch grammatikunkundige Gender-Sprachpolizeiarbeitsleistende halten den Begriff „der Mensch“ (Achtung: Generisches Maskulinum!) für eine Patriarchats-privilegierende und damit verwerfliche Diskriminierung aller Nicht-Männer und sehen in jedem Satz, in dem nur von „Menschen“ anstelle von „Menschen und Menschinnen“ die Rede ist, einen versteckten Angriff auf die Gleichstellung der Frau.

Und natürlich – last but not least – die erwähnte Robin-Hood-Fraktion der akademischen Linken, die das Geld, das sie andauernd an die Bedürftigen und an sich selbst verteilen wollen, erstmal denjenigen abknöpfen müssen, die dafür arbeiten, indem sie anhand ihrer Maxime „Eigentum ist Diebstahl“ all diese irrlichtenden Leistung-muss-sich-lohnen-Fetischisten höchst vorsorglich zu Straftätern umdefinieren.

Nervensägen sind alle diese selbsternannten Missionare also nicht aufgrund ihrer eigentlichen Mission, sondern deshalb, weil sie zur Legitimierung ihrer Haltung permanent mit dem Finger auf die Anderen zeigen.

Beim Zeitunglesen und Fernsehschauen wird mir immer wieder bewusst: Ich selbst bin inzwischen das genaue Gegenteil der Leute, an denen sich die heutigen Medien hauptsächlich abarbeiten.

Wenn es nach den Medien geht, gibt es in Deutschland von heute nur noch Frauen, von denen die meisten eigentlich die besseren Männer sind. Und die übrigen Männer sind entweder Gangsta-Rapper oder links-grüne, bekifft radfahrende Wohlstandsfusselbartträger. Die sind dann auch zu jeder Tages- und Nachtzeit fest verwachsen mit dem Smartphone und den so genannten „Soschl Midia“, den Sozialen Medien. Solche Medien brauchen diese neuen, modernen Menschen natürlich dringend, weil von den alten aus der Kukident-Fraktion ja immer mehr wegsterben. Die nachwachsende Generation der Digital Natives würde das Rentenproblem am liebsten am Computer lösen – mit der Tastenkombination „Alt und Entfernen“.

Diese Soschl Midia heißen interessanterweise „Sozial“, obwohl sie das genaue Gegenteil davon sind: Nämlich lukrative Geschäftsmodelle von strikt gewinnmaximierungsorientierten Wirtschaftsunternehmen.

Das wiederum ist eine typische praktische Anwendung von Orwellschem „Neusprech“ – eine Sprache, in der Schlüsselbegriffe in ihr exaktes Gegenteil umdefiniert werden.

Alles 'Ofenfrisch'!

Ich nenne es „das Prinzip Ofenfrisch“. Das Wort „ofenfrisch“ wurde in der Bäckereiwerbung in den Neunziger Jahren eingeführt, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als ein deutscher Arbeitsminister und späterer Kabarettist namens Norbert Blüm den Spruch „Die Rente ist sicher“ erfand. Eine solche Beschwörungsformel war nötig geworden, weil eben genau das aus mathematischer Sicht nicht mehr zutraf. Als klar wurde, dass die Rentenbeiträge nie wieder ausreichen werden, um die Rentenempfänger damit zu bezahlen.

Die Renten sind heute alles mögliche, aber ganz bestimmt nicht „sicher“. Derzeit erhält die Rentenkasse einen Zuschuss aus allgemeinen Steuermitteln von sagenhaften 100 Milliarden Euro – jedes einzelne Jahr.

Und warum heißt das jetzt „ofenfrisch“?

Nachdem der Blüm seinen Spruch rausgehauen hatte, da haben sich die Bäcker gedacht: Das können wir auch. In dem Augenblick, als die Semmeln eben nicht mehr frisch aus einem Bäckerofen kamen, sondern als vorgefertigte, aus Billiglohnländern herbeigedieselte Aufbackware nur noch durch den Durchlauferhitzer geschoben wurden, da brauchte man eben eine wirksame Brötchenesser-Beschwichtigungskampagne. Und die geht immer so, dass man einfach das Gegenteil behauptet: Ofenfrisch.

Leute wie mich, gibt es eigentlich gar nicht!

Ich bin jetzt also genau das Gegenteil von einer medial angesagten Zielgruppe. Für die Medien gibt es Leute wie mich eigentlich gar nicht. Alter weißer Mann, fleisch-essender Autofahrer, männlich, hetero – meine Mutter war eine Frau! Und mein Vater: nicht.

Und wie heißen Leute wie ich dann konsequenterweise im Neusprech der Werbewelt? Na klar: Ich bin ein „Best-ager“. Da haben wir es wieder, unseren Neusprech: das sollen also die Leute „im besten Alter sein“, obwohl sie im allerbeschissensten Alter sind, in dem man aus Medien-und Werbesicht überhaupt sein könnte? Diese Generation Kukident mit ihrer konservativen Gesinnungs-Patina, dem old-school-mäßigen Edelschimmel und dem mega-angesagten Knitterlook im Gesicht heißt also – ganz nach dem Prinzip „Ofenfrisch“: Best-ager.

Mainstream: Veganer und Vegetarier

Aber nehmen wir uns doch mal eine echt hippe, zeitgemäße Zielgruppe vor: Veganer und Vegetarier! Früher war das mal eine Gruppe verschrobener Diätapostel, die kein Blut sehen können. Heute ist das eine gesellschaftliche Mainstreambewegung. Was mich – rein erinnerungsbedingt – irritiert, ist die Beobachtung, dass vegetarische und vegane Ernährung in manchen Teilen der Gesellschaft zu einer regelrechten Ersatzreligion geworden ist, und zwar inklusive der dazugehörigen Inquisition.

Die Theorie, nach der alle Tiere als eine Art „Mitmenschen“ gelten sollen, als „Mit-Lebewesen“, und man sie daher auf keinen Fall essen, in vegan-verschärfter Form noch nicht einmal melken darf… und wer das trotzdem tut, der steht aus der Sicht der Glaubenskongregation dieser Leute praktisch auf einer Stufe mit den Kannibalen. Und, ist ja klar, den Kannibal*innen. Da hilft nur noch: Knallhartes Reprogrammieren, Umerziehungslager oder Scheiterhaufen.

Pflanzen, die Immobilien unter den Lebewesen

Wenn man das mal zu Ende denkt, wo würde uns das hinführen? Auch die Pflanzen sind schließlich Lebewesen, genau wie die Tiere, nur etwas weniger beweglich. Man könnte sagen, die Pflanzen sind die… Immobilien unter den Lebewesen. Immobilien von lateinisch immobilis, unbeweglich. Was bedeutet das praktisch? Die Pflanze kann nicht weglaufen. Diese armen, ganz klar mobilitätsbenachteiligten Lebewesen können sich noch nicht mal wehren, wenn wir sie umhacken, ausreißen, ihnen die Haut abziehen, sie zerkleinern und kochen, weil wir sie anschließend essen wollen. Was wäre die logische Folge, wenn man die Pflanzen auch aus dem Speiseplan nimmt? Dann müssten wir uns wohl alle Solarzellen wachsen lassen. Das wiederum ist zwar technisch vorstellbar, geht aber dann nur genau solange gut, bis irgendjemand auf die Idee kommt, dass das Licht als eine Art göttliche Manifestation eigentlich heilig ist und auf keinen Fall zu so etwas Profanem wie die menschliche Ernährung missbraucht werden darf.

Und daraus wird dann die Bewegung der Obskuritaten – also Leute, die – aus Respekt vor dem göttlichen Charakter des Lichts – nur noch im Dunklen leben.

Und wenn wir soweit sind, dann: Gute Nacht, schöne Gegend.

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Laut Umfrage sind 90 Prozent der Menschen nicht in der Lage, mehr als drei ihrer 30 Menschenrechte zu benennen.

👉 𝗦𝘁𝗮𝗿𝘁𝗲 𝗷𝗲𝘁𝘇𝘁 𝗱𝗮𝗺𝗶𝘁, 𝗗𝗲𝗶𝗻𝗲 𝗥𝗲𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗮𝗹𝘀 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵 𝘇𝘂 𝗸𝗲𝗻𝗻𝗲𝗻 𝘂𝗻𝗱 𝘀𝗰𝗵𝗮𝘂 𝗗𝗶𝗿 𝗱𝗲𝗻 𝗩𝗶𝗱𝗲𝗼 𝗱𝗲𝗿 𝗚𝗲𝘀𝗰𝗵𝗶𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗗𝗲𝗶𝗻𝗲𝗿 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻𝗿𝗲𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗮𝗻.

Photo by Park  Troopers on Unsplash

Publiziert am
Nov 7, 2023
 in Kategorie:
Verbote

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