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m Februar 2022 machte die Schweizer Stadt Basel ganz besondere Schlagzeilen. Es gab eine Volksabstimmung über ein außergewöhnliches Anliegen: Sollen Affen Menschenrechte bzw. Grundrechte erhalten? Mit einem eindeutigen Ergebnis lehnten die Stimmberechtigten die Primaten-Initiative ab. Welche Gedanken stecken eigentlich hinter dieser Forderung? Ist sie wirklich so aberwitzig, wie sie im ersten Moment klingt?

Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit

Bei der Volksabstimmung im Kanton Basel-Stadt ging es um einen kleinen, aber bedeutungsschweren Satz in der Basler Verfassung:

„Diese Verfassung gewährleistet überdies: das Recht von nichtmenschlichen Primaten auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit.“

Hierbei handelt es sich um ein wichtiges Menschenrecht und Grundrecht, welches von den Befürwortern der Initiative auch auf Primaten angewendet werden sollte.

Das Ziel war also, die Affen nicht mehr als Rechtsobjekte zu erachten.

Sie wären, hätte die Initiative Mehrheit gefunden, Träger von Rechten geworden. Ihre Vertreter hätten diese Rechte vor Gericht einklagen können.

Anmerkung: Bei dem Volksabschied ging es um nicht menschliche Primaten. Darunter fallen Affenarten wie Lemuren, Makaken und Menschenaffen wie Orang-Utans und Gorillas. Diese Tiere sind den Menschen biologisch sehr ähnlich. Sie weisen eine hohe soziale Intelligenz auf, haben nachweislich ein Selbstbewusstsein und besitzen einen Sinn für Vergangenheit sowie Zukunft. Auch die Schmerzempfindungsfähigkeit ist stark ausgeprägt.

Gründer und Unterstützer der Initiative

Die Affen-Menschrechtsinitiative hat weltweit für Aufsehen gesorgt, denn sie ist bisher einmalig. Unterstützung erfuhr sie von sehr prominenter Seite: Jane Goodall und damit einer Koryphäe der Affenforschung und dem deutschen Anthropologen Volker Sommer. Die Grünen und die Sozialdemokraten warben ebenfalls mit einem Ja für Menschenrechte für Affen.

Hinter der Initiative verbirgt sich die Organisation Sentience Politics, die sich für die Interessen von „nicht menschlichen Tieren“ starkmacht. Ihre Kampagnenleiterin Tamina Graber argumentierte kurz vor der Abstimmung: „Wir haben den Zeitgeist getroffen. Ich denke, dass die Bevölkerung diesen Schritt gehen und den nicht menschlichen Primaten Grundrechte geben will.“ Ihre Hoffnung schöpfte die junge Frau nicht nur aus der prominenten Unterstützung, sondern auch aus der Tatsache, dass es in Basel keine nichtmenschliche Primaten in staatlicher Obhut gibt. Weder die Zoos noch die Pharmakonzerne wären damit direkt oder indirekt betroffen.

Graber täuschte sich in ihrer Einschätzung zum Ergebnis der Abstimmung. Eine überwältigende Mehrheit stimmte mit Nein.

Für ein Nein machten sich Wirtschafts- und Pharmavertreter stark, da sie sich ein Türchen für die Zukunft offenhalten wollten.

Gegenstimmen gab es auch vom Basler Zoo. Sprecher des Zoos erwähnten, sie sähen durch ein Ja bei der Abstimmung die Gefahr einer Klagewelle trotz guter Haltungsbedingungen in ihren Gehegen. Zudem sei ein Grundrecht für nicht menschliche Primaten überflüssig, da es doch bereits sehr strikte Schweizer Tierschutzgesetze gäbe.

Tierschutzgesetz versus Menschenrecht für nicht-menschliche Primaten

Der Basler Zoo betonte angesichts der Initiative für Menschenrechte für Affen, wie umfangreich das Schweizer Tierschutzgesetz sei. Es würde bereits die Halter dazu verpflichten, ihre Tiere vor „ungerechtfertigtem Leid, Angst und Schmerzen zu bewahren“. Graber in ihrer Funktion als Kampagnenleiterin hielt dagegen: „Selbst wenn wir das beste Tierschutzgesetz haben, bedeutet dies nicht, dass wir gut mit Tieren umgehen und unseren Umgang nicht noch verbessern könnten.“

Grabers Kommentar ist verständlich.

In einer Welt, in der auch in den reichsten und fortschrittlichsten Ländern es immer wieder zu drastischen Menschenrechtsverletzungen kommt, wird das Tierschutzgesetz ebenfalls mit Füßen getreten.

Darüber hinaus steht im Tierschutzgesetz der Mensch im Vordergrund. Es geht vornehmlich darum, wie er das Tier hält und wozu. Hätten die nicht menschlichen Primaten Menschenrechte, wären sie auf Augenhöhe mit dem Menschen. Laut Graber wäre dies unerlässlich. Zudem erachte die Schweiz Tiere bereits seit 2003 nicht mehr als reine "Sachen". Rechte haben sie allerdings nicht. Exakt dies fordert die Initiative unter der Leitung von Graber für nicht menschliche Primaten.

Anmerkung: Graber spricht in diesem Zusammenhang nicht von Menschenrechten, sondern von Grundrechten, die sich an die menschlichen Grundrechte anlehnten. So bräuchten die Primaten beispielsweise keine „Menschenrechte“ wie Religionsfreiheit oder freie Meinungsäußerung.

Keine neue Idee

Nichtmenschlichen Primaten oder Tieren im Allgemeinen Rechte zu geben, ist keine neue Idee. Bereits im 19. Jahrhundert gab es Fürsprecher. An Fahrt gewann die Diskussion in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Der Ethiker Peter Singer veröffentlichte 1975 sein Buch „Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere“. Noch konkreter und konsequenter werden die Überlegungen in Tom Regans Buch „The Case for Animal Rights“, welches 1983 erschien. Aufbauend auf den Überlegungen des Philosophen sind weltweit Tierrechtsgruppen entstanden, die für mehr Rechte für alle Tiere kämpfen.

Einen weiteren Gedankenanstoß gibt es von Thomas Nagel. 1974 veröffentlichte er mit „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ einen Essay, der insbesondere in der Diskussion zum Bewusstsein und zum „subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes“ weltweit herangezogen wird. In diesem wird die Frage aufgeworfen, ob der Mensch tatsächlich verstehen kann, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Dies sei nicht möglich, da er keine Fledermaus mit all ihren Eigenschaften ist. Er könne daher nur seine Vorstellungskraft nutzen, um abzuschätzen, wie es sich anfühlt. Danach wird der Mensch nie erfahren können, wie sich eine Fledermaus oder ein anderes Tier wirklich fühlt.

Welche Konsequenzen lassen sich daraus für die Tierhaltung ableiten? Welche Rechte würde ein Tier gerne haben?

Eine Tierhaltung, wie in der freien Natur, scheint der beste Weg zu sein. Hier offenbart sich das natürliche Überlebens- und Sozialverhalten eines Tieres am deutlichsten, woraus sich Rechte und Pflichten eines Tieres ableiten lassen.

Hier tut sich allerdings ein schwieriges Thema auf, weil Tiere ein anderes Bewusstsein haben als Menschen. Es ist stark anzunehmen, dass sich auch innerhalb der Tierwelt das Bewusstsein erheblich unterscheidet.

An dieser Stelle öffnet sich ein Gedankenexperiment riesigen Ausmaßes, mit dem sich für oder gegen mehr Rechte für Tiere argumentieren lässt.

Was passiert auf der Welt in puncto mehr Rechte für Tiere?

Die Tierrechtsidee findet weltweit Beachtung und scheint vereinzelt in der Justiz anzukommen. Hierzu ein paar Beispiele:

  • Ende der 1980er Jahre klagen die „Seehunde der Nordsee“ gegen die Bundesrepublik Deutschland, um auf die Meeresverschmutzung aufmerksam zu machen. Die Richter akzeptierten die Klage nicht, da Seehunde nicht klagefähig seien.
  • 2011 und 2015 bestimmten indische Gerichte, dass Vögel ein Recht auf ein freies Fliegen hätten.
  • 2016 erreichte die argentinische Vereinigung der Anwälte für Tierrechte vor Gericht den Rechtsschutz für die im engen Käfig eingesperrte Schimpansin Cecilia. Das Tier kam frei.
  • 2022 machte ein Richter in Pakistan in einem Urteil deutlich, wie wichtig Grundrechte für Tiere seien. Er ließ Zootiere in ein artgerechtes Refugium umsiedeln.
All dies sind Einzelfälle, aber sie haben eine große symbolische Bedeutung.

Vielleicht kündigt sich damit ein Paradigmenwandel an und der Mensch verliert zunehmend die Verfügungsfreiheit über die Tiere. Dies offenbart sich in zarten Zügen im Urteil des Verfassungsgerichts des Kantons Basel-Stadt, welches für die Überprüfung der Zulässigkeit der Primaten-Initiative zuständig war:

„Mit der Subjektivierung von Tierrechten wird eine grundlegend neue Rechtsentwicklung zur Diskussion gestellt, der eine beträchtliche symbolische Bedeutung mit Impulswirkung zukäme.“

Menschenrechte und Grundrechte: Was sprechen wir den Tieren künftig zu?

Mensch und Tier leben seit Tausenden von Jahren miteinander. In zahlreichen Bereichen berühren sich ihre Leben. Umso wichtiger ist es demnach, dieses Verhältnis würdig zu gestalten. In diesem Zusammenhang tauchen Fragen auf:

  • Welche Stellung nimmt das Tier ein?
  • Was fühlt das Tier?
  • Was ist tatsächlich im Wohle des Tieres?
  • Können wir über das Wohl des Tieres überhaupt bestimmen?

Hierauf Antworten zu finden, ist nicht leicht. Da wir Menschen sie treffen werden, werden sie auch immer im aktuellen zeitlichen Kontext stehen. Künftig könnte sich in puncto mehr Rechte für Tiere damit einiges ändern.

Laut Umfrage sind 90 Prozent der Menschen nicht in der Lage, mehr als drei ihrer 30 Menschenrechte zu benennen. 👉 𝗦𝘁𝗮𝗿𝘁𝗲 𝗷𝗲𝘁𝘇𝘁 𝗱𝗮𝗺𝗶𝘁, 𝗗𝗲𝗶𝗻𝗲 𝗥𝗲𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗮𝗹𝘀 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵 𝘇𝘂 𝗸𝗲𝗻𝗻𝗲𝗻 𝘂𝗻𝗱 𝘀𝗰𝗵𝗮𝘂 𝗗𝗶𝗿 𝗱𝗲𝗻 𝗩𝗶𝗱𝗲𝗼 𝗱𝗲𝗿 𝗚𝗲𝘀𝗰𝗵𝗶𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗗𝗲𝗶𝗻𝗲𝗿 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻𝗿𝗲𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗮𝗻 👉 [𝗩𝗜𝗗𝗘𝗢] Die Geschichte Deiner Menschenrechte

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Photo by Joshua J. Cotten on Unsplash

Publiziert am
Nov 8, 2022
 in Kategorie:
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