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mnesty International ist die Organisation weltweit, die als Hüter der Menschenrechte gilt. Sie besteht seit dem 28. Mai 1961 und hat seit ihrer Gründung auf Missstände aufmerksam gemacht sowie Druck ausgeübt, diese zu beseitigen. Bei all den Lobgesängen war aber auch hin und wieder scharfe Kritik zu hören. Liegt sie daran, dass die Organisation in die Jahre gekommen ist und umdenken muss? Ein Blick in die Vergangenheit kann Aufschluss auf die mögliche und wünschenswerte Zukunft geben.

Ein Kodex für das Aktivsein

Einer der Gründerväter der Organisation Amnesty International ist der bereits verstorbene britische Anwalt sowie Politiker der Labour-Partei Peter Benenson. Schon vor der Gründung der weltbekannten Organisation setzte sich der Brite für Menschenrechte ein und machte darauf aufmerksam, wenn die damit verbundenen und schriftlich vereinbarten Freiheiten nicht eingehalten wurden. In eben solch einem Artikel schrieb er:

„Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.“

Genau diese Aussage sollte schließlich zum Kodex der Menschenrechtsorganisation Amnesty International werden. Anstatt nur zuzuschauen und zu jammern, ginge es darum, selbst zu handeln. Auf Basis dessen entstand Benenson's Kampagne "Appeal for Amnesty 1961", aus der letztlich Amnesty International wurde. Sie fokussierte sich auf die Notlage von in Vergessenheit geratener Gefangenen. In den 1970er-Jahren verstärkte sich die Arbeit in dieser Hinsicht, weil sich die Kampagne intensiv mit der Behandlung von Insassen unterschiedlicher Diktaturen Lateinamerikas auseinandersetzte. Für diese Tätigkeit erhielt die Organisation 1977 den Friedensnobelpreis.

Im folgenden Jahrzehnt erweiterte Amnesty International ihren Aktionsradius. Hierzu zählten unter anderem politische Morde und außergerichtliche Tötungen. Das Ende der 80er-Jahre stand im Zeichen der wachsenden Anzahl von Flüchtlingen auf der Welt.

Kontinuierliche Fokusverlagerungen

Im letzten Jahrzehnt des alten Jahrtausends deckte Amnesty International drastische Menschenrechtsverletzungen in Ruanda, Osttimor und Jugoslawien auf. Eine Konsequenz aus der zunehmenden Globalisierung. Anfang des neuen Jahrtausends gab es auch bei Amnesty International einen neuen Schwerpunkt: die sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten.

An dieser Entwicklung zeigt sich, dass Amnesty International von der Rolle des Beobachters mit dem warnenden Zeigefinger langsam zum Akteur wurde.

Dies verdeutlicht auch die einstige Vorsitzende der Organisation in Deutschland Anja Mihr mit ihrer Aussage: „Amnesty International hat in den ersten Jahren Mechanismen der Bewusstseinsbildung entwickelt, indem wir mit Briefkampagnen an die Regierungen und die Öffentlichkeit appelliert haben. Und deshalb war es in diesen ersten 30, 40, vielleicht sogar 50 Jahren nicht so wichtig, ob Amnesty International mit seinen Aktionen tatsächlich eine direkte Reaktion der Regierungen hervorrufen würde."

Die Welt ist eine andere als vor der Jahrtausendwende. Globalisierung und Digitalisierung durchziehen alle Lebensbereiche und damit auch die Themen Politik, Menschenrechtsverletzungen, das Recht des Einzelnen und Freiheiten. Mihr summiert: „Ich bin mir nicht immer sicher, ob die ursprüngliche Stärke von Amnesty, gut zu recherchieren, Beweise zu haben, heute noch in demselben Maße gebraucht wird, da es so viele andere Einrichtungen gibt, die das tun. Wir haben andere Mittel, um herauszufinden, was vor Ort passiert. Wir brauchen dafür keine NGO mehr.“ Inzwischen ist sie Programmdirektorin des Berliner HUMBOLDT-VIADRINA Center on Governance through Human Rights.

Ist Amnesty International veraltet?

Stephen Hopgood, Professor für internationale Beziehungen an der SOAS University of London bezweifelt, dass Amnesty International noch zeitgemäß ist. Er meint: "Amnesty ist eine Organisation aus der Zeit des Kalten Krieges, und ausgehend von der Art und Weise, wie sie aufgebaut wurde und wie sie funktionierte, ist es in vielerlei Hinsicht ein Wunder, dass sie 60 Jahre lang überlebt hat. Das ist nicht einmal unbedingt ein Versagen von Amnesty. Das liegt eher an der Komplexität einer Welt, die sich sehr von der Welt der 1960er und 1970er Jahre unterscheidet."

Kritiker der Organisation meinen, dass Amnesty International ihren Vorsatz, keinerlei politischen Ideologie nachzugehen, nicht mehr nachkommt.

So gäbe es durchaus eine einseitige Berichterstattung. Darüber hinaus würde die traditionsreiche Organisation eine „außenpolitische Voreingenommenheit gegenüber nicht-westlichen Ländern“ besitzen. Gleiches zähle für Länder, die den Westen nicht unterstützen würden.

Hopgood begründet dies mit einem Blick in die Vergangenheit, als die Welt im Zeichen des Kalten Krieges stand: "Amnesty war eine der wenigen internationalen Organisationen, die sich für das Prinzip der Meinungsfreiheit einsetzten. Und sie versuchte, dies so fair und neutral zu tun, wie sie konnte, indem sie Gefangene aus Gewissensgründen aus dem Westen, aus dem Osten und aus den Entwicklungsländern auswählte. Es war in vielerlei Hinsicht eine sehr einfache Zeit, in der Amnesty sehen konnte, wer der Feind war, und der Feind waren autoritäre Regierungen."

Ist Neutralität unpopulär?

Neutralität scheint heutzutage wenig gefragt zu sein. Vielleicht war dies auch schon immer so. Alles wird zu einem Politikum gemacht und wer eine objektive Beobachterposition einnehmen möchte, sieht sich oft auf verlorenem Posten. Hierzu drei Beispiele, die alle dem gleichen Schema folgen:

  1. Die Konflikte zwischen Hamas und Israel sorgten und sorgen für viele Opfer. Darunter finden sich zahllose unschuldige Zivilisten. Sobald jemand die Zivilisten der einen Seite bemitleidet, ist ihm die massive Kritik einer Parteinahme sicher. Alles folgt dem Motto: „Wenn du nicht mit uns bist, bist du gegen uns.“
  2. Politiker und Intellektuelle, die sich für ein Kriegsende zwischen der Ukraine und Russland sowie den damit verbundenen diplomatischen Verhandlungen stark machen, werden als Kremlfreunde verunglimpft.
  3. Wer Corona-Maßnahmen kritisierte, wird/wurde sofort als Verschwörungstheoretiker oder Rechtsradikaler tituliert.

Diese Entwicklung ist mehr als bedenklich. Sie schränkt den Blick auf das Unrecht massiv ein, denn viele Kritiker werden so mundtot gemacht. Neutralität ist dennoch wichtig. Sie ermöglicht leichter, eine objektive Beobachterrolle einzunehmen. Diese wiederum ist für die Durchsetzung von Recht und Freiheit unerlässlich. Das zeigt auch unser Rechtssystem. Wer wünscht sich schon einen parteiischen Richter?

Menschenrechte in globalisierten Zeiten

Die Globalisierung nimmt zu, aber das heißt nicht, dass Kulturen sich nicht voneinander unterscheiden. Ihre Sicht auf die Menschenrechte kann eine andere sein bzw. einige lassen sich nach westlichen Vorstellungen nicht so einfach durchsetzen. Als Beispiele hierfür seien Kinderarbeit und Abtreibung genannt. Allein dies sind zwei große Streitthemen, die offenbaren, dass es keine einheitlichen ethischen Grundsätze gibt und diese sich auch nicht von Heute auf Morgen umsetzen ließen.

Es muss erlaubt sein, weiterhin neutral zu sein und mit Blick auf die Verhältnisse vor Ort, die Situation in der jeweiligen Region zu begutachten. Das schließt mit ein, eine unpopuläre Meinung einzunehmen und auf Missstände aufmerksam zu machen, die den „politischen Freund“ betreffen.

Genau diese Position wird für Amnesty International immer schwieriger. Jüngst wurde die Organisation von Politikberater Sergej Sumlenny der Unterstützung der russischen Propaganda bezichtigt. Der Grund: Amnesty International hatte bemängelt, dass das ukrainische Militär zivile Einrichtungen als Militärposten nutzen würde und so Zivilisten unnötig gefährden würden.

Objektiv Kritik zu üben, ist nicht erwünscht. Neutralität ist im heutigen Zeitgeist out. Klare Positionen sind gefragt, die einen kritischen Diskurs verhindern und die klare Sicht auf die Dinge verstellen. Wer dieser Linie folgt, findet sich weiter von den Menschenrechten und der Freiheit entfernt, als er vielleicht ahnt.

Laut Umfrage sind 90 Prozent der Menschen nicht in der Lage, mehr als drei ihrer 30 Menschenrechte zu benennen. 👉 𝗦𝘁𝗮𝗿𝘁𝗲 𝗷𝗲𝘁𝘇𝘁 𝗱𝗮𝗺𝗶𝘁, 𝗗𝗲𝗶𝗻𝗲 𝗥𝗲𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗮𝗹𝘀 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵 𝘇𝘂 𝗸𝗲𝗻𝗻𝗲𝗻 𝘂𝗻𝗱 𝘀𝗰𝗵𝗮𝘂 𝗗𝗶𝗿 𝗱𝗲𝗻 𝗩𝗶𝗱𝗲𝗼 𝗱𝗲𝗿 𝗚𝗲𝘀𝗰𝗵𝗶𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗗𝗲𝗶𝗻𝗲𝗿 𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻𝗿𝗲𝗰𝗵𝘁𝗲 𝗮𝗻 👉 [𝗩𝗜𝗗𝗘𝗢] Die Geschichte Deiner Menschenrechte

Weitere Quelle:

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Photo by Christian Lue on Unsplash

Publiziert am
Sep 29, 2022
 in Kategorie:
Rechte

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